Raphaël Cuomo und Maria Iorio
Raphaël Cuomo und Maria Iorio arbeiten seit ihrer gemeinsamen Studienzeit an der Ecole Supérieure des Beaux Arts in Genf zusammen. Bevorzugte Medien sind Video und Fotografie, wobei sie sich meist installativer Präsentationsformen bedienen. Im Rahmen der oft langfristigen Arbeit an einem Projekt entstehen jedoch auch andere Formate wie Bücher und editierte Materialsammlungen. 2006-2007 waren sie Forschungsstipendiaten an der Jan van Eyck Akademie in Maastricht. 2007 und 2008 erhielten sie den Kunstpreis der Schweiz. Sie leben in Genf und Berlin.
Donnerstag, 27. September 2012 - Kino Arsenal
19 Uhr
Twisted Realism Raphaël Cuomo, Maria Iorio, Schweiz 2010-12, 76', OmeU
21 Uhr Carte Blanche
P.P.Pasolini: Cultura e societá Carlo di Carlo, Italien 1967, 20', OmeU
La Ricotta Pier Paolo Pasolini, Italien 1963, 35', OmU
Appunti per un'orestiade africana Pier Paolo Pasolini, Italien 1969, 73', OmU
Raphaël Cuomos und Maria Iorios Videoessay Twisted Realism ist von 1. bis 28. September in der Ausstellung "There is no wind on the moon" in der Galerie Savvy Contemporary (Berlin) zu sehen und wird im Rahmen der Reihe "Der Standpunkt der Aufnahme" am 27.9. im Kino Arsenal gezeigt.
In Twisted Realism wird Pier Paolo Pasolinis Mamma Roma zum Resonanzraum für eine Auseinandersetzung mit Urbanisierung und sozialen Umbrüchen in der Periode des "Wirtschaftswunders" in Italien. Das Video führt an einige Originalschauplätze von Pasolinis Film im Stadtteil Tuscolano, damals eine Vorzeigesiedlung des staatlichen Wohnungsbauprogramms INA-Casa am Stadtrand von Rom, und reflektiert auf die Frage, wie sich die Bild- und Wunschproduktion der Nachkriegszeit im Kino niedergeschlagen hat.
Raphaël Cuomo und Maria Iorio verbinden eigene Ortserkundungen mit reichhaltigem Material aus verschiedenen Filmarchiven. Es werden nicht nur Zusammenhänge zwischen Bildproduktion, Architektur und sozialer Realität sichtbar, sondern es rückt auch die Materialität der Archive, Kinos und Medien in den Blick, in denen Cuomo und Iorio ihre Bilder aufgefunden haben. Indem in Twisted Realism die eigene Kamera konsequent den Bildrahmen setzt und sämtliches Bildmaterial dort (ab)gefilmt wurde, wo die Filmemacher es vorgefunden haben, wird die historische und zeitgenössische Topographie Roms um die Sichtfenster der Umspulgeräte, die Vorhänge der Kinoleinwände und die Farbkaskaden der DVD-Menüs erweitert.
Diese Rekadrierung und Wiederbetrachtung wird von einem vielstimmigen Diskurs begleitet, in dem Teile des Drehbuchs von Mamma Roma, Zeitungsausschnitte, fiktive Begegnungen, persönliche Erinnerungen sowie Notizen von Pasolini selbst und seinem damaligen Regieassistenten Carlo di Carlo den zeitgenössischen Kontext erinnern oder reinszenieren. Zu den Sprechenden gehören neben Carlo di Carlo der Schauspieler Giuseppe Cederna, der Künstler und Queer-Aktivist Warbear sowie eine Reihe von Zeitzeugen, denen Cuomo und Iorio während ihrer Recherche begegnet sind.
Revisit: Twisted Realism im Kino Arsenal
Einer der Orte, von denen die Bilder in Twisted Realism gerahmt sind, ist auch der Projektionsraum des Kino Arsenal. Im November 2010 haben Cuomo und Iorio hier bereits eine 20minütige work in progress Fassung des Films und anschließend den Referenzfilm Mamma Roma gezeigt. Im Anschluss an die mittlerweile fertiggestellte Langfassung von Twisted Realism zeigen die Künstler nun am 27.9. eine Carte Blanche-Auswahl aus drei Filmen, an denen sich formale und zeitgeschichtliche Referenzen der Arbeit diskutieren lassen.
Carlo di Carlos selten gezeigtes Autorenportrait P.P.Pasolini: Culture e societá stellt Pasolini als konzentrierten und leidenschaftlichen Autor vor. Aus dem Arsenal-Archiv haben Cuomo und Iorio dazu zwei Filme Pasolinis ausgewählt, in denen Kernelemente und Fluchtpunkte seines politisch-poetischen Engagements sichtbar werden. Der 35minütige La Ricotta gilt vielen als eine der pointiertesten Arbeiten Pasolinis. Erzählt wird die Geschichte eines Filmdrehs, einer Verfilmung der Passion Christi, in der sich gebrochen und persifliert unschwer die Passion des Künstlers Pasolini erkennen lässt. Das Drehbuch für La Ricotta entstand während der Arbeit an Mamma Roma und in der Rolle des Filmregisseurs ist Orson Welles zu sehen, von dem es heißt, dass er vor der Arbeit an diesem Film noch nie etwas von Pasolini gehört hatte.
Appunti per un'Orestiade Africana ist ein filmisches Skizzenbuch für ein nie realisiertes Filmprojekt Pasolinis, eine Adaption des klassischen Stoffs der Orestie auf die Realität des zeitgenössischen Afrika. Wie in kaum einem anderen Film werden hier Pasolinis Themen und Idiosynkrasien transparent und auch die bisweilen blinde Leidenschaft einer "Struktur, die eine andere Struktur sein will", wie Pasolini die Drehbuchform einmal charakterisierte.
Der Standpunkt der Aufnahme - Archiv:
Mittwoch, 17. November 2010 - Kino Arsenal
19.00
Sudeuropa, Raphaël Cuomo & Maria Iorio, DV, Italien 2005-07, OmE, 40'
Orient Palace, Raphaël Cuomo & Maria Iorio, DV, Tunesien 2008, Ausschnitt 12'
Twisted Realism, Raphaël Cuomo & Maria Iorio, Italien/Schweiz 2010, HD Video, Bild- und Tondokumente, OmE, Ausschnitte ca. 25'
21.00
Carte Blanche
Mamma Roma, Pier Paolo Pasolini, Italien 1962, 35 mm, OmE, 105’
In den letzten Jahren galt der Arbeitsschwerpunkt von Cuomo/Iorio zunächst den reziproken Bezügen zwischen Südeuropa und Nordafrika und dem politischen Topos „illegale Migration“. Während eines längeren Aufenthalts auf der Insel Lampedusa entstand das Video Sudeuropa (2005-07), in dem es um Sichtbarkeit und die Produktion von Bildern für den europäischen Medienkonsumenten geht: das „Drama“ der Flüchtlingsströme und die mediterrane Ferienkulisse.
Aus dieser Arbeit und der Begegnung mit ihrem Co-Autor Adbelhamid Boussofara entwickelten Maria Iorio und Raphaël Cuomo ein umfassendes, künstlerisches Forschungsvorhaben, das bis dato die Arbeiten Orient Palace (2008), The Interpreter (2009) und Fabriques (2010) hervorgebracht hat. Es widmet sich den mannigfaltigen Transfers zwischen Südeuropa und Nordafrika: den wechselseitigen Wanderbewegungen und den ungleichen Mobilitätsbedingungen für Waren, Kapital und Menschen; orientalistischen Klischees und idealisierten Vorstellungen von Europa sowie deren Fortleben in der touristischen Bildproduktion einerseits und in Migrationsgeschichten andererseits.
Ziel des Projekts ist ein mehrstimmiger Corpus von Arbeiten, die sich aufeinander beziehen. Maria Iorio, Raphaël Cuomo und Adbelhamid Boussofara arbeiten hier mit anderen Künstlern, Autoren und Forschern zusammen. Eine gemeinsame Arbeit, die auch diese Ko-Autorenschaft thematisiert, ist das Video The Interpreter (2009), das gemeinsam mit dem Geografen Makrem Mandhouj in Tunesien entwickelt wurde und auf seinen Forschungen beruht.
Zur Übersicht