Joanne Richardson
Mittwoch, 6. Oktober 2010
19.00
Carte Blanche
Ici et ailleurs (Here and Elsewhere), Jean-Luc Godard & Anne-Marie Miéville, Frankreich 1970/74, 16 mm, OmU, 55’
21.00
Letter from Moldova, Joanne Richardson, Rumänien 2009, DV, OmE, 28’
Red Tours, Joanne Richardson & David Rych, Deutschland 2010, DV, OmE, 48’
Joanne Richardson ist in Rumänien geboren und im Alter von 9 Jahren mit der Familie in die USA emigriert. Im Jahr 2000 brach sie ihr PhD Studium ab und kehrte nach Rumänien zurück. Sie ist Mitbegründerin der medienaktivistischen NGO „D-Media“ in Cluj (Rumänien) und regelmäßige Teilnehmerin an Veranstaltungen der „Gegenöffentlichkeit“, an Filmfestivals und Ausstellungen, zuletzt im Rahmen von „Transient Spaces – The Tourist Snydrome“ in der NGBK, Berlin. Joanne Richardson lebt und arbeitet in Berlin und Rumänien.
Thematischer Schwerpunkt ihrer Arbeit sind die sozialen und identitätspolitischen Verschiebungen im post-kommunistischen Osteuropa. Video kommt dabei als kommunikatives Medium im öffentlichen Diskurs zum Einsatz, dient aber auch der Sprachfindung bei der künstlerischen und persönlichen Positionierung.
Joanne Richardson arbeitet ebenso mit dokumentarisch-beobachtenden wie mit experimentellen, essayistischen Formen und stellt sich ihrer Grundfrage immer wieder neu: Was heißt es, Film und Video politisch zu machen? Für sie bedeutet es zum Beispiel auch kritische Wachsamkeit bei der Recherche: „Es geht hier buchstäblich um ein Nach-Forschen, um eine zweite Suche. Wenn man im Zuge einer ersten Suche zu einem bestimmten Wissen gekommen ist, geht es bei dieser zweiten Suche darum zu fragen, wie dieses Wissen zustande gekommen ist, wodurch es ermöglicht wurde. Und was dabei nicht ermöglicht wurde. Diese zweite Suche ist nicht etwas für die Kunst Spezifisches – sie ist eine ‚Undiszipliniertheit’, die in jeder Disziplin steckt, eine immanente Kritik, die darauf aus ist, die Grenzen der Disziplin offen zu legen und zu erweitern.“
Travelogues und Geisterbahnen
In ihren letzten Arbeiten verwickelt sie die eigene wie die öffentliche Erinnerung in einen kritischen Dialog mit den Hinterlassenschaften und Neuschöpfungen in der Bildlandschaft des ehemaligen „Ostblocks“. Letter from Moldova ist ein in Briefform erzählter, persönlich geprägter Travelogue. Red Tours, eine Gemeinschaftsarbeit mit David Rych, setzt sich mit den touristischen und musealen Formen auseinander, in denen heute auf die Sowjetzeit und das kommunistische Erbe referiert wird. Der Film experimentiert dabei in Form und Erzählung mit verschiedenen, auch gegensätzlichen dokumentarischen Gesten.
Beide Arbeiten zitieren ähnlich gelagerte Filme von Chris Marker. Letter from Moldova reflektiert durch den Bezug auf Markers Letter from Siberia (1957) auf die problematische Autorität des reisenden Erzählers und auf das Paradigma einer „Reise in die Vergangenheit“, insbesondere wenn es um Osteuropa geht. Red Tours evoziert Markers und Resnais’ Les statues meurent aussi (1953) und eröffnet damit der Betrachtung der sowjetischen Artefakte einen post-kolonialen Bezugsrahmen. Gedreht wurde Red Tours in Budapest, Prag, Vilnius und Berlin, in Themenparks, Geisterbahnen und Mitmachmuseen, denen im Umgang mit der jüngeren Geschichte weitgehend das Feld überlassen wurde.
“I am writing you this letter from a distant land. She lies somewhere between the Middle Ages and the 21st century, between nostalgia for a failed revolution and an imaginary hope called Europe… Was it our compulsion for travelling that first brought us together? Why have we always chosen destinations that no sane tourist would ever visit, places at the crossroads of turmoil and transformation? Perhaps it was the threshold of the indeterminate that attracted us, the promise of a different becoming, even though its moment has now been lost. But in its failure we can still imagine remembering a future that never was.” (aus Letter from Moldova)
Carte Blanche: Ici et ailleurs (Jean Luc-Godard, Anne Marie Miéville)
Von allen Filmen Godards erscheint Joanne Richardson dieser als das gelungenste Beispiel dafür, „Film politisch zu machen“, wie er es seinerzeit programmatisch gefordert hatte – dabei verdankt sich die bleibende Relevanz des Films für sie gerade dem selbstkritischen Bezug des Regieduos auf die eigene Militanz.
Mehr zu Joanne Richardson und ihrer Arbeit: http://subsol.c3.hu/joanne/home.html
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