Charles Heller
Mittwoch, 13. Oktober 2010
19.00
Crossroads at the Edge of the Worlds Charles Heller, Schweiz 2007, DV, engl. OF, 40’
Ausschnitte aus:
NEM-NEE Charles Heller, Schweiz 2005, DV, OmE
Perception Management - Videovortrag zu einem Rechercheprojekt über die International Organisation for Migration (IOM), Charles Heller
Zu Gast: Raphaël Cuomo und Maria Iorio. Veranstaltung auf Englisch.
21.30
Carte Blanche
Le tombeau d’Alexandre (Der letzte Bolschewik), Chris Marker, Frankreich 1993, Beta, dt. Fassung, 116’
Charles Heller arbeitet als Künstler, Dokumentarfilmer und Autor. Er ist aufgewachsen in den USA und der Schweiz und hat seine Ausbildung an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Genf und am Goldsmiths College in London absolviert, wo er sich derzeit auf einen PhD vorbereitet. Er lebt in Genf.
Zentrale Themen seiner Arbeit sind die Auswirkungen der europäischen Migrationspolitik, der alltägliche und institutionelle Rassismus sowie die politische Rolle von Kunst und Medien. Sein erster Film, NEM-NEE (2005), entstand aus einem aktivistischen Engagement heraus. Im Auftrag einer anti-rassistischen NGO dokumentiert Heller darin die Lebensverhältnisse illegalisierter Migrant/innen und analysiert ihre systematische Diskriminierung durch die Schweizer Ausländergesetzgebung.
Wenig später wurde Heller von der Künstlerin Ursula Biemann eingeladen, eine Arbeit im Rahmen des Projekts „Maghreb Connection“ zu produzieren. Daraus entstand der dokumentarische Reiseessay Crossroads at the Edge of the Worlds (2006), eine Recherche entlang der klandestinen Migrationsrouten durch Marokko in Richtung Europa. Mit seinem dritten Film, Home Sweet Home (2009), brachte Heller die Migrationsthematik in die Schweiz zurück. Er unternimmt darin eine ausführliche Bild- und Textrecherche über die Geschichte seines Heimatlandes und dessen ideologischen wie praktisch-politischen Umgang mit dem „Fremden“.
„Emanzipation“, „Medienkompetenz“ - Propaganda?
Bereits Crossroads… wirft hinsichtlich der Rolle von Bildern in der Migrationspolitik kritische Fragen auf und versucht, dem Dilemma zu entgehen, dass oft auch solidarisch gemeinte Bilder von Migrant/innen das europäische Fantasma der “Flüchtlingsinvasion“ nähren. Spätestens die Begegnung mit den Medienkampagnen der International Organization for Migration (IOM) hat Charles Heller jedoch skeptisch gemacht, ob dieses Dilemma durch die „richtige“ Art, Filme zu machen, aus der Welt zu schaffen ist.
Die IOM tritt als Beraterin und Dienstleisterin „in allen migrationsrelevanten Fragen“ auf und wird von den insgesamt 126 Mitgliedsstaaten mit einem Jahresbudget von mittlerweile 1 Milliarde US-Dollar ausgestattet. In den professionell produzierten „Informationskampagnen“ welche die IOM in mehreren afrikanischen Ländern lanciert hat, werden ähnliche, bisweilen sogar dieselben Bilder eingesetzt, die die Situation von Migrant/innen in der EU skandalisieren sollen – hier allerdings, um Migrationswillige abzuschrecken. Diese Erkenntnis hat Charles Heller zu einer Denkpause in der eigenen Bildproduktion und einer konzentrierten Auseinandersetzung mit der IOM und deren „Perception Management“ gebracht. Die Funktionalisierung von Bildern im Dienste eines ordnungspolitischen, oder gar biopolitischen Programms erinnert an den didaktischen Einsatz von mobilen Kinos während der Kolonialzeit. Die Praxis der IOM provoziert jedoch auch Fragen an den Videoaktivisten und dessen emanzipatorisches Anliegen: Ist es naiv, an Bildern zu arbeiten, ohne Einfluss auf deren Distribution zu nehmen? Heißt Überzeugungsarbeit mit Bildern nicht immer auch Propaganda für die „gute Sache“? Sind aber Emanzipation und Propaganda überhaupt vereinbar?
Carte Blanche
Mit Le tombeau d’Alexandre von Chris Marker zeigt Charles Heller einen Film, der die hier virulenten Fragen in der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Avantgarde- und Propagandafilmer Aleksandr Medwedkin angeht. Weil er Propaganda nicht als Indoktrination, sondern als Ermächtigung der Adressaten begriffen hatte, wurde Medwedkin zum Vorbild für spätere Generationen politischer Filmemacher und war Namenspatron für die von Marker mit gegründeten Filmkollektive, die im Frankreich der späten 60er und frühen 70er Jahre die Filmarbeit zu einem Instrument im Klassenkampf machen wollten. In seiner gegenwärtigen Recherche beschäftigen Heller Medwedkin und die „Groupes Medvedkin“ nicht als Modelle oder Antwortgeber, sondern als Anregungen, die richtigen Fragen zu stellen.
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