Brigitta Kuster
Mittwoch, 10. November 2010
19.00
Faire des histoires - Kommentierte Audiovisuals / Ausschnitte aus Arbeiten zwischen 2002 und 2010 Brigitta Kuster, verschiedene Formate, Präsentation auf Deutsch, OmU
21.30
Carte Blanche
Le rendez-vous des quais, Paul Carpita, Frankreich 1950-53, 35 mm, OmU, 75’
Brigitta Kuster lebt und arbeitet als Künstlerin, Kuratorin und Autorin in Berlin. Nach ihrer Kunstausbildung in Luzern arbeitete sie zunächst an mehreren Ausstellungen der Shedhalle Zürich mit und war anschließend als Kuratorin an diversen Ausstellungsprojekten beteiligt, u.a. an der 5. Werkleitz Biennale „Zugewinngemeinschaft“ (2002) und „Atelier Europa“ (Kunstverein München, 2004). Gemeinsam mit Madeleine Bernstorff kuratierte sie 2008 im Haus der Kulturen der Welt (Berlin) das Filmprogramm „Kleine Pfade – verschränkte Geschichten / Petites ruelles – Modernité croisées“. Filmgeschichte wurde dabei aus einem post-kolonialen Blickwinkel erzählt – eine Perspektive, die für Brigitta Kusters Arbeit zentral geworden ist. 2006 und 2010 wurde sie mit dem „Swiss Art Award“ ausgezeichnet.
choix d’un passé. traits d’union
Seit 2002 führt sie mit Moise Merlin Mabouna einen künstlerischen Dialog über das Erbe des deutschen kolonialen Projekts im heutigen Kamerun. Die Zusammenarbeit bringt Arbeiten verschiedener Formate hervor und trägt den Titel choix d'un passé. traits d'union. Das Projekt begann mit einer doppelten „Heimsuchung“. Für Moise Merlin Mabouna kehrte eine Erinnerung zurück: Von „den Deutschen“, die er in seiner Kindheit zu bewundern gelernt hatte und deren rassistischem Verwaltungsapparat er als Immigrant ausgesetzt war, hieß es auch, dass sie seinen Urgroßvater Bisselé Akaba im Zuge der kolonialen Okkupation gefoltert und ermordet hatten. Für Brigitta Kuster bestand die anfängliche Heimsuchung in dem „Erschrecken darüber, dass ich nicht das blasseste Verständnis in meinem Wissen vorfand, in das ich diese diffuse Erinnerung, die Geschichte der Vorfahren eines Freundes oder dessen potenziellen Erfahrungshintergrund, einzuordnen vermochte.“
„Faire des histoires“
Im Rahmen von „Der Standpunkt der Aufnahme“ wird Brigitta Kuster Teile aus choix d'un passé. traits d'union und weitere Videoarbeiten vorstellen. Die Präsentation trägt den Titel „Faire des histoires“ (frz. ~ sich anstellen, Komplikationen erzeugen) und wird um die Motive „Grammatik der Erinnerung“, „Geschichten Erzählen “ und „unwahrnehmbar Werden“ kreisen. Sie wird die Räumlichkeiten in Form eines geführten Parcours bespielen, der nur zum Teil im Kinosaal stattfindet.
Ausschnitte
2006-1892=114 ans/jahre, DV, Deutschland/Kamerun 2006, 7 min
Der Videoloop folgt dem von Joseph Ki-Zerbo verschriftlichten Regelwerk der mündlichen Zeugenschaft und begibt sich rückwärts entlang der Route der sogenannten ‘Manguiers Allemands’ (deutsche Mangobäume), gegen die Vergessenheit, in die das koloniale Projekt vor allem in Deutschland geraten ist.
À travers l'encoche d'un voyage dans la bibliothèque coloniale. Notes pittoresques, DV, Deutschland/Schweiz/Kamerun 2009, 25 min
Der Film unternimmt eine Reise durch die koloniale Bibliothek, wobei damit nicht bloß Archive und Dokumente gemeint sind, sondern Vorstellungslandschaften und epistemische Rahmungen. Zentrale Referenz ist der Expeditionsbericht von Curt von Morgen, die erste schriftliche Quelle über die Balamba, sowie das Motiv der „Parklandschaft“, womit die Kolonialisten jene Kulturlandschaften und Vegetationen bezeichneten, die heute als Savanne gelten.
S. - Je suis - je lis à haute voix [passing for], Deutschland 2005, DV, 17 min
„Bei meiner Beschäftigung damit, wie dokumentarische Formate das Migrations- und Grenzregime in Europa in Szene setzen, machte ich die Beobachtung, dass beinahe durchgehend der Topos des Ortes, an den man im Alltag nicht hingelangt, und die Unmittelbarkeit des Dabeiseins konstruiert werden. Wenn dies ein Blick ist, der ‚vor Ort’ etwas ‚einfängt’, um es an einen anderen Ort zu transportieren, wie konstituiert dieser Blick dann die Zuschauerschaft? ‚Die Grenze’ tritt dann nicht bloß als ein vorgängiges Faktum auf in den Geschichten, die etwa ein Film erzählt, sondern als ein Regime, das auch den Produktionsmodus der Erzählung und des Wissens, die Art und Weise, wie der geworfene Blick ‚Subjekte des Wissens’ herstellt und anordnet, betrifft.“ (Brigitta Kuster)
Entkolonisierung, Schweiz 2010, 3-Kanal Videoinstallation, 5 min
In einer Sequenz von projizierten Stills auf drei Videokanälen wird der Schlagwort-Zettelkatalog einer Bibliothek zum Stichwort „Entkolonisierung“ geblättert. Auf der Tonspur hört man einen Auszug aus Alain Robbe-Grillets La Jalousie, der explizit gegen das Narrativ, die Tiefe, das Engagement, den Humanismus und die Tragik anschreibt.
Carte Blanche: Le rendez-vous des quais von Paul Carpita
Angesiedelt im Marseille der Nachkriegszeit erzählt der Film die Geschichte von zwei Brüdern im Kontext des historischen Generalstreiks der Docker gegen den Krieg in 'Indochina' 1950. Der fertig gestellte Film findet sein Echo allerdings nicht mehr in diesem, sondern im Algerienkrieg. Bei einer Vorführung für die Docker und ihre Familien im Marseiller Kino Saint-Lazare im Oktober 1955 wurde der Film beschlagnahmt und galt bis zu seiner Wiederentdeckung Ende der 1980er Jahre als verschollen bzw. zerstört.
Brigitta Kuster im Gespräch mit Stefan Nowotny
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